Ich bin Deutsch – Yamel

Martin: Yamel, wer bist du?
Yamel: Ich heiße Yamel und komme aus Puebla in Mexiko, wo ich auch aufgewachsen bin. Dort habe ich mein Wirtschaftsingenieur-Studium absolviert. Ich bin auch die Frau eines deutschen Mannes. Wir sind seit fast 12 Jahren verheiratet und haben keine Kinder. Ich bin Deutsche und Mexikanerin mit Doppelpass und lebe schon seit 1998 in Deutschland.

Aktuell mache ich mich selbständig als Coach und Beraterin. Zum einen für qualifizierte Arbeitskräfte, die in Deutschland sich professionell weiterentwickeln möchten. Zum anderen für Unternehmen, die sie nachhaltig für Ihre Organisationen gewinnen möchten. 

Martin: Wie bist du denn nach Deutschland gekommen?
Yamel: Das ist eine längere Geschichte. Während des Studiums war ich auf einem Studienaustausch in Kanada. Dort habe ich die ersten Deutschen kennengelernt. Damals gab es zwei Gruppen, die Deutschen und die Mexies, also die Mexikaner. 

Wir haben gut zusammengepasst und viele Dinge gemeinsam unternommen. Damals wurde mein Interesse an Deutschland und seinen Menschen geweckt. Auch wenn ich in Puebla mit seinem großen Volkswagen-Werk gelebt habe, hatte ich, auf Grund der fremden Sprache, vorher keinen Kontakt zu deutschen Menschen. 

Nach meinem Studium habe ich dann begonnen Deutsch zu lernen und mich auf die deutsche Kultur einzulassen. Deutsch zu können war damals in Mexiko eher unüblich, auch wenn es dort viele deutsche Firmen gibt. In Gesprächen mit einer deutschen Freundin haben wir uns irgendwann auch über das Thema „wie erhalte ich ein Visum“ ausgetauscht. Das mit dem Visum hat dann geklappt und so bin ich nach Deutschland gekommen, um die Sprache besser zu lernen.

Martin: Hast du, seitdem du in Deutschland bist, jemals Fremdenhass oder Diskriminierung erfahren müssen?Yamel: (Längere Pause) Ich bin mir nicht sicher – jedenfalls nicht direkt. Ich hatte meistens das Glück mit freundlichen und hilfsbereiten Menschen unterwegs sein zu können. Vielleicht habe ich das Thema aber auch einfach ignoriert.
Wenn ich jetzt nochmal darüber nachdenke, könnte es die ein oder andere derartige Situation schon gegeben haben.

Martin: Möchtest du darüber sprechen?
Yamel: Ja. Vor einigen Jahren waren meine Familie, meine Mutter und mein Bruder, zu Besuch in Deutschland und wir haben das Peter-und-Paul Fest in Bretten besucht. Vorneweg bemerkt: Mein Bruder hat einen dunkleren Teint als ich, ist mit seinen fast zwei Metern viel größer als ich und hat schwarze, lockige Haare. 
Wir waren ein wenig zu spät. So sind wir mitten in den Umzug hineingekommen und standen irgendwann eng zusammengedrängt in der ersten Reihe, da wir keinen Platz mehr hatten, um weiter nach hinten zu gehen. Nach kurzer Zeit haben, offensichtlich Deutsche, hinter uns angefangen, über uns in einem absichtlich „seltsam klingenden, dialektisch verfremdeten Deutsch“ zu sprechen und „komische Geräusche“ zu machen. Da mein Bruder kein Wort Deutsch sprach hat er mich gefragt, was diese Menschen über uns sprechen würden. Ich habe geantwortet, dass wir das einfach ignorieren sollten.

Bild: Ich bin Deutsch - Yamel

Irgendwann hat eine ältere Frau, aus dieser Gruppe, angefangen mich anzurempeln. Ich habe mich dann herumgedreht und zu ihr gesagt: „Wir können gerne die Plätze tauschen.“ Sie ist nicht darauf eingegangen, hat aber auch nicht aufgehört mich anzurempeln. Ich habe das ignoriert, aber meinen Bruder hat dieses Verhalten sehr gestört und ich habe mir Sorgen über seine weiteren Reaktionen und die vielleicht daraus folgenden Problemen gemacht. Daraufhin habe ich mich herumgedreht und zu der Menge an Menschen hinter mir gesagt: „Könnt ihr das alle sehen? Diese Frau bedrängt mich und hört nicht damit auf.“ 

Ich glaube, das war eine gute Idee. Ein anderes gemischtes Pärchen wurde auf die Situation aufmerksam, und kam uns auch verbal zur Hilfe. Trotzdem sind wir danach einfach gegangen.
Mich hat dieses Verhalten gestört, dass man Menschen mit diesem „seltsam klingenden, dialektisch verfremdeten Deutsch“ anmacht, nur weil sie einen dunkleren Teint und schwarze Locken haben.

Es gab auch seltsame Situationen in Pforzheim, wo damals der Lebensmittelpunkt meines Mannes und mir lag. Ich hatte damals einen Firmenwagen und trotz der schwierigen Parkplatzsituation waren wir Anwohner uns immer einig, wer wo parkt. Trotzdem wurde mein Auto einmal komplett von hinten nach vorne zerkratzt, ein anderes Mal mit Fäkalien beschmiert. Offensichtlich gab es dort Menschen, die etwas gegen mich hatten. Das hat mir zugegebenermaßen Angst gemacht.
Das hier muss nicht mit Rassismus in Verbindung gebracht werden aber mit Hass. So etwas kannte ich bis dahin nicht. 

Martin: Wenn du Berichte über die Vorgänge in Hanau und Halle siehst oder hörst: Machst du dir Sorgen? Macht dir das Angst?
Yamel: Ja, das macht mir sogar sehr viel Angst. Wenn damals in Pforzheim Demos von rechten Gruppen auf dem Wallberg stattfanden, bin ich an diesen Tagen gar nicht vor die Tür gegangen. Einfach um mich aktiv herauszuhalten, und um erst gar nicht mit Menschen in Kontakt zu kommen, die irgendwie komisch ticken.

Martin: Hat sich deine Haltung nach Hanau und Halle irgendwie verändert?
Yamel: Jein. Hanau und Halle sind geografisch ein gutes Stück von hier entfernt. Auf der anderen Seite fühle ich mich aktuell in Karlsruhe nicht mehr so sicher als früher.

Martin: Würdest du von der Politik erwarten mehr dagegen zu unternehmen, oder siehst du das eher als eine Aufgabe der Gesellschaft?
Yamel: Hm, ich würde schon eine Reaktion der Politik erwarten. Ich Unterschiede in den Wirkungen bestimmter Aktionen. Bei Antisemitismus gibt es sehr schnelle und oft auch nachhaltige Reaktionen: es gibt Aufschreie, Politiker treten zurück. Bei rassistischen Vorfällen habe ich den Eindruck, dass danach nicht sonderlich viel passiert. Selbst wenn sich Politiker offensichtlich rassistisch äußern. Das finde ich gruselig.

Martin: Du besitzt ja den deutschen und den mexikanischen Pass. Hast du das Gefühl, dich irgendwann einmal für oder gegen einen entscheiden zu müssen?
Yamel: (Lange Pause) Pragmatisch gesehen ist ein Pass ja nur ein Stück Papier. Trotzdem ist es ein Stück von mir und hat mit Gefühlen und Identität zu tun. Vielleicht hätte ich den deutschen Pass nicht bekommen wollen, wenn ich dafür meinen mexikanischen hätte abgeben müssen. Das hätte weh getan.
Aber nein, ich hatte bisher nicht das Gefühl mich entscheiden zu müssen. Ich bin gerne Mexikanerin, manchmal stelle ich jedoch fest, dass ich in bestimmten Dingen sehr deutsch geworden bin. Auf der anderen Seite stelle ich bei sehr viel „deutschen Dingen“ fest, vom Herzen her Mexikanerin zu sein.

Bild: Ich bin Deutsch - Yamel

Martin: Yamel, wie besetzt du den Begriff „Heimat“?
Yamel: (Lange Pause) Über den Begriff Heimat habe ich, bevor ich nach Deutschland gekommen bin, noch nie nachgedacht. Für mich war immer klar: ich in Mexikanerin, ich fühle mich wohl in Mexiko und ich fühle mich dort zuhause. Ich habe auch nie nachgedacht, Mexiko zu verlassen. Das hat sich eher so ergeben. Ja, es war immer ein Wunsch, der jedoch unerfüllbar schien. Ich glaube erst wenn man sein Land verlässt, sich danach nicht mehr so richtig zuhause fühlt, kommt einem der Begriff „Heimat“ in den Sinn.

In der ersten Zeit in Deutschland habe Mexiko gar nicht so sehr vermisst. Ich war beschäftigt, musste eine neue Sprache lernen, habe viele neue Menschen aus aller Welt kennenglernt. Ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken.
Wenn dann der Alltag einzieht, du gut integriert bist und eher die Ruhe suchst, beginnst du Mexiko zu vermissen und über „Heimat“ nachzudenken. Hier in Deutschland war es kalt und nass, ich habe begonnen meine Eltern zu vermissen. 
Inzwischen fühle ich mich wohl in Deutschland. Deswegen denke ich, Heimat ist der Ort, an den man sich wohlfühlt. Es kann auch sein, dass man sich dann Zuhause fühlt, obwohl man nicht dort geboren wurde. 

Ich erwische mich oft, dass ich sage: „Ich möchte gerne nach Hause.“ und meine Mexiko damit. Wenn ich dann in Mexiko bin, denke ich nach drei bis vier Wochen auf deutsch: „Ich möchte gerne nach Hause.“ und meine damit Deutschland.

Martin: Ich würde gerne den Begriff der Integration aufgreifen. Findest du, dass Integration in Deutschland gut gelebt wird? Oder ist das nur eine leere Worthülse?
Yamel: Ich glaube mit meiner Antwort werde ich mich ganz unbeliebt machen. Ich hasse dieses Wort „Integration“. Der Begriff der Integration wird oft politisch benutzt, aber integriert wird hier in Deutschland niemand. Ich sehe nicht, dass „offiziell“ viel dafür getan wird, sondern eher von engagierten, ehrenamtlichen Menschen, oder von Ausländern, die bereits hier leben. Meiner Meinung nach wird auch nicht wirklich akzeptiert, dass in Deutschland Ausländer leben, oder dass Deutschland zum Beispiel nicht nur christlich ist.
Der Islam wächst, nicht nur in Deutschland, viel schneller als der christliche Glaube. So leben in Deutschland viele Menschen in der zweiten oder dritten Generation, die nicht christlichen Glaubens, jedoch Deutsche sind. Meiner Meinung nach wurde diese Gruppe in unserer Gesellschaft niemals richtig integriert.

Martin: Heißt das, dass diese Menschen sich irgendwie versucht haben selbst zu integrieren?
Yamel: Naja, was bedeutet „Integration“? Für mich bedeutet Integration, dass Menschen, die nach Deutschland kommen – wie jede*r andere – eine reale Möglichkeit bekommen, hier zu studieren, zu arbeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und in jeder Perspektive ein Teil der Gesellschaft zu werden.
Ich habe diese Chance bekommen. Ich lebe Deutsch, ich spreche meistens Deutsch. Auch auf der Straße werde ich so gut wie nie anders als in Deutsch angesprochen. Auf der anderen Seite sehe ich Gruppen seit langen Jahren in Deutschland leben, die bis heute noch kein Wort Deutsch sprechen.

Martin: Könnte das nicht auch an diesen Gruppen selbst liegen? Es gibt sicherlich Gruppen, oder Menschen, die sich weigern Deutsch zu lernen oder sich zu integrieren.
Yamel: Ja, diese Menschen und Gruppen gibt es auch, obwohl ich dieses Problem nicht ursächlich bei diesen Menschen oder Gruppen sehe.
Zum Beispiel Kanada: Kanada ist ein Einwanderungsland. Wenn du nach Kanada einwanderst, bist du einfach nur Kanadier. Das ist eine Kultur, die ausdrückt „Wir alle zusammen sind Kanadier.“ Es ist ein absolutes no go, Menschen aufgrund ihres Herkunftslandes als „Mexikaner“ oder „Türken“ zu bezeichnen.
In Kanada gibt es zum Beispiel auch ein Einwanderungs-System, das auf Punkten basiert. Dabei ist es Pflicht, die Sprache zu lernen.

Bild: Ich bin Deutsch - Yamel

Martin: Das heißt du würdest ein Einwanderungsgesetz für Deutschland befürworten?           
Yamel: Ja, das wäre wirklich wunderbar. Ich bin der Meinung, egal wo man sich auf der Welt befindet, das A und O ist einfach die Sprache. Deutschland tut sich keinen Gefallen damit, Menschen einwandern zu lassen, die die Sprache nicht können. Wie willst du ohne Sprachkenntnisse einen würdigen Arbeitsplatz bekommen? Wie willst du selbstständig zum Arzt gehen können. Du wirst dich ohne Sprachkenntnisse immer am Rande der Gesellschaft einordnen müssen.

Das würde ich auch mit meiner Mama machen, sollte sie nach Deutschland kommen wollen. Selbst als sie nur länger zu Besuch war, habe ich einen Deutschkurs für sie gebucht, damit sie die grundlegenden Dinge selbst hat erledigen können.
Wenn du in ein Land – Deutschland – einwandern möchtest, dann ist das wie ein Vertrag, den du mit diesem Land schließt. Du willst nach Deutschland kommen? Gerne. Du bist willkommen, die Türen stehen offen, aber dafür musst du auch etwas tun. Das finde ich fair.

Martin: Du hast vorhin von „dem Islam“ gesprochen. Was genau meinst du damit?
Yamel: Mit „dem Islam“ meine ich nur die muslimische Religion. Mehr nicht.

Martin: Hat sich der Umgang mit dem Stereotyp von „nicht Deutsch aussehen“ in den letzten Jahren, deiner Meinung nach verändert? Insbesondere nach dem Emporkommen der AFD?
Yamel: Wenn jemand denkt, Menschen nach ihrem Aussehen einordnen zu können, der ist völlig verwirrt. Aber auch ich habe das lernen müssen. Ich habe das Bild, die Erinnerung eines asiatisch aussehenden Tänzers im Kopf, der Samba getanzt hat wie ein Gott. Auf meine Nachfrage, woher er denn so gut Samba tanzen könne hat er nur geantwortet: „Ich bin Brasilianer“. Das war ein echter Aha-Effekt für mich.

Ich persönlich habe in den letzten Jahren nicht festgestellt, dass ich anders behandelt worden wäre. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Deutschen nicht so offen für fremde Menschen sind. Im Gegensatz zu den Menschen in anderen Ländern, die ich bisher kennenlernen durfte, empfinde ich sie auch als nicht so hilfsbereit. Ich habe auch gelernt, dass es nichts mit mir zu tun hat, wenn die Kassiererin im Supermarkt nicht „Guten Morgen“ oder „Guten Tag“ sagt, sondern weil sie das nie tut.

Martin: Yamel, die Frage, die ich in jedem Interview stelle, lautet: „Was ist denn für dich typisch Deutsch“?
Yamel: (Lacht) Sandalen mit weißen Socken. Sich so privat zu verplanen damit ich einen Termin zum Kaffeetrinken mit einer Freundin ausmachen muss, der dann erst in zwei Monaten sein wird. Da vermisse ich die Spontaneität. Inzwischen stört mich das nicht mehr so wie zu Beginn meiner Zeit in Deutschland.

Martin: Du hast dich also angepasst.
Yamel: Ja. Ich akzeptiere das einfach. Planen hat auch seine Vorteile.

Martin: Wenn man in der Presse (auch politische) Stimmen liest, dass die Vorkommnisse in Halle ein Anschlag auf uns Alle wäre. Ist diese Aussage deiner Meinung nach ernst gemeint, oder ein vorgeschobener Grund, um ein schlechtes Gewissen zu beruhigen?
Yamel: Naja, je nach dem von welcher Partei diese Aussagen kommen … Politiker sind halt Politiker. Die verfolgen mit jedem Wort, das sie sagen ein bestimmtes Ziel. Ja, vielleicht haben diese Stimmen insofern Recht, da solche Vorkommnisse natürlich ein Anschlag auf die Demokratie eines Landes sind. Ein Anschlag auf die Gefühle und die Sicherheit in einem Land. Nach so einem Anschlag machen viele Menschen Dinge einfach anders, Menschen ändern ihre Art sich zu benehmen – und das trifft uns wahrscheinlich alle.

Martin: Zum Schluss unseres Interviews noch eine Frage, die vielleicht ein wenig vom Thema meines Projektes abweicht, aber politisch aktuell ist. Du hast doch sicherlich eine eigene Sicht auf Trump?
Yamel: (Lacht) Ja. Man sagt bei uns in Mexiko: „Armes Mexiko, so weit weg von Gott und so nah an den USA.“ In Mexiko würde vieles anders gemacht, wenn wir nicht so abhängig von den USA wären.

Martin: War diese Situation mit Obama anders?
Yamel: Ja, die Situation war noch nie schlimmer als mit Trump. Die geplante Mauer ist doch ein politisches Instrument. Die Menschen aus Mexiko überqueren die Grenze zu den USA nur aus einem Grund: sie wollen arbeiten. Auch wenn sie nur die dreckigsten Jobs machen, die sonst keiner möchte. Welches soziale System in den USA soll von Mexikanern denn ausgenutzt werden? Es gibt doch gar keines.

Ich habe in den USA Menschen kennengelernt, die sich seit dreißig Jahren mehr oder weniger unsichtbar machen um „geduldet arbeiten“ zu dürfen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass sich kein Mexikaner mehr ausnutzen lassen müsste.

Ich habe nichts gegen die Menschen in den USA. Ich kenne auch viele nette Menschen dort. Aber die Politik gegenüber Mexiko findet sehr weit unter der Gürtellinie statt. Politisch geht es den USA immer nur um Geld oder um Öl. Dafür gehen sie, unter dem Deckmantel, anderen Menschen nur helfen zu wollen, in andere Länder. Menschen, die in Ländern leben, die beides nicht bieten können, denen wird nicht geholfen.
Das ist mein vereinfacht dargestelltes Verständnis der amerikanischen Politik.

Martin: Yamel, vielen Dank für das Interview und deine Teilnahme an meinem Projekt